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Georg Friedrich Händel
Omnipotence

Georg Friedrich Händel war der Komponist, der – anders als viele vor und nach ihm – nie in Vergessenheit geriet. Auch nach seinem Tod wurde sein „Messias“ weiter aufgeführt, auch in der Londoner oratorio season, die mehrere Spielorte hatte. Das English Oratorio, Händels ureigenste Erfindung, für die er so viele Werke komponiert hatte, war so erfolgreich, dass sie auch die Konkurrenten auf den Plan rief.

Pasticcio

Händels (Nach)-Ruhm war aber nicht nur dem Messiah zu verdanken, sondern auch der lukrativen Praxis des Pasticcio. Ein Pasticcio präsentierte die erfolgreichsten Arien, Orchestersätze und Chöre eines Komponisten auf neue Art. Diese „Pastete“, dieser „musikalische Leckerbissen" basierte stets auf den erfolgreichsten Nummern, erprobt in vorherigen Opern und Oratorien, die einen neuen Plot bekamen, neu textiert, neu kombiniert, inklusive Tonarten-Plan, so dass diese Pasticcio-Opern und Oratorien – völlig risikofrei – beim Publikum stets gut ankamen.

Zweitklassige Musik? Alles andere als das!

Händel selbst, wie auch Bach, Mozart, Haydn und viele andere haben Pasticci geschrieben. Erst in der Romantik, mit ihrem Genie-Kult und Glauben an das einzigartige unverwechselbare Kunstwerk, geriet diese Praxis in Vergessenheit, wie auch vieles andere an Aufführungspraktiken.

Vergessene Aufführungspraktiken

Es war beispielsweise selbstverständlich, dass Bach Kantaten neu textierte (sein Weihnachtsoratorium ist das berühmteste Beispiel); erfolgreiche Opernkomponisten wie Christoph Willibald Gluck, konzipierten und komponierten von Bühne zu Bühne, von Orchester zu Orchester, von Publikumsgeschmack zu Publikumsgeschmack, ihre Werke (teilweise) neu, so dass sie sicher waren, Erfolg zu haben.

 

Kastraten und Starsänger hatten stets ihren musikalischen „Notfallkoffer“ im Gepäck, wenn sie bei Uraufführungen singen sollten. Kein Wunder, denn der Solist wollte, musste brillieren, und wer wusste schon, ob die neue Oper, das neue Oratorium Arien hatte, die zu seiner Stimme, zum Geschmack des Publikums passten. Wenn die neue Oper durchfiel, so hatte der Solist wenigstens seine „Koffer-Arien“, allesamt aus anderen Opern herausgezogen, um zu glänzen.

Und auch wenn wir in unsere Zeit schauen, ist diese Praxis bis heute nicht ganz vergessen: Potpourri, Remix, Cover-Versionen nutzen erfolgreiche Musiknummern neu, ein Filmmusical wie Mamma Mia mit dem „Best of“ hat nicht minder Erfolg beim Publikum als die Originale.

Das Besondere...

Lohnenswert ist ein Projekt wie das unsere in mehrfacher Hinsicht: Ein Pasticcio verrät uns mehr darüber, was Händels Zeitgenossen von seinen Werken am meisten geschätzt hatten. Es verrät uns, welche Stücke so bekannt waren und blieben, dass sich eine Wiederaufnahme lohnte. In Israel in Babylon, einem anderen Pasticcio (das wir vor Jahren neu ediert und eingespielt haben) war Händels langjähriger „engster Mitarbeiter“, sein Cembalist John Christopher Smith (alias Johann Christoph Schmitt, er stammte aus Augsburg) so clever, sogar Händels berühmte Feuerwerksmusik in mitreißende Chöre zu verwandeln.

 

Omnipotence verfolgt ein anderen Ansatz. Es will in London im Jahr 1774 den großen Namen Händel von „neuer Seite“ zeigen und den Kult befeuern, indem es mit Händels frühen Werken bekannt macht, die damals niemand (mehr) kennt. Samuel Arnold, der dieses Pasticcio zusammenstellte, verrät uns in seinem Programmheft einiges zur Vorgeschichte: über Jahre hatte er Händels Musik gesammelt, dafür Auktionen besucht und in Nachlässen gestöbert. Kern seines Pasticcios Omnipotence wurden die Chorsätze aus Händels frühen Jahren, der als junger Komponist für knapp zwei Jahre im Dienst des Duke of Chandos stand. Eine äußerst kreative Zeit für den Komponisten, sozusagen das Laboratorium für die Art dramatischer effektvoller Chöre, die seine von ihm geschaffene Gattung des English oratorio so erfolgreich machen würde. Der Messias wird die Krone dieser Entwicklung sein.

Samuel Arnold - kein no name

Dr. Samuel Arnold war im Musikleben Londons nicht irgendwer. Er hatte beim Projekt Omnipotence einen Ruf zu verlieren. Arnold war selbst als Komponist erfolgreich, er war u.a. Organist der WestminsterAbbey, ein Freund Haydns, der in London mit seinen Sinfonien späte Erfolge feierte. Arnold wurde geehrt mit einem Grab in Westminster, neben Purcell und anderen Größen der englischen Musikgeschichte. Und er war ein erstklassiger Kenner der Musik Händels: aus einer großen Vielzahl von Opern wählte er sich Arien, Duette und auch ein Terzett,  aus dem Bestand der Chandos-Anthems die meisten der Chöre, die er 1774 völlig neu zusammenstellt, lange nach Händels Tod und doch „Hundert Prozent Händel“, weshalb er auch guten Gewissens werben konnte: „Omnipotence – a sacred oratorio set to music by Mr. Handel“.

Die Notenedition wird im Verlag "Res Facta" der Oryx Edition erscheinen. Interessenten schreiben bitte an die Kantorei Saarlouis.
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